von Uwe Brendler
Östlich der Oberallgäuer Kreisstadt Sonthofen, im Berggebiet oberhalb der Ortschaften Berghofen und Unterried, lag bis ins späte 19. Jahrhundert eine Ansiedlung mit sieben Bauernhäusern und einer Kapelle – der Weiler Oberried. Er war der höchstgelegene Ortsteil des damaligen Marktes Sonthofen, bis sich seine Bewohner 1889 entschlossen, die Siedlung gänzlich aufzugeben. Schon bald danach legte sich der Nebel des Vergessens über die aufgelassene Siedlung. Erst in den letzten Jahren konnte so manches Detail der weitgehend unbekannten Ortsgeschichte wieder ans Tageslicht gebracht werden.
Blick auf die Kapelle in Oberried mit Sonthofen im Hintergrund
Über einen Zeitraum von mindestens 30 Generationen hinweg lebten Bergbauern in dem kleinen Dorf auf 1068 Meter Höhe und ernährten sich und ihre Familien von der land- und forstwirtschaftlichen Arbeit. 1136 wurde der Ort erstmals in einer Urkunde erwähnt, dann wieder in den Jahren 1430 („in dem oberen Ried“) und 1544 („im Oberrid"). Leibeigene der Freiherren von Rettenberg, einem damals sehr vermögenden und mit großem Landbesitz ausgestatteten Geschlecht, ließen im hochgelegenen Bergwaldgelände Siedlungsflächen roden und einige kleine Höfe anlegen, nachdem sich die Bevölkerung im Oberallgäu im 12. Jahrhundert stark vermehrt hatte. Zudem hatten im Taldorf Berghofen unterhalb des Höhenzuges wegen der großen Hochwassergefahr, die von der nahen Ostrach und weiteren Bächen ausging, keine neuen Siedlungsflächen mehr gewonnen werden können. Darüber hinaus war das neu gerodete Gebiet für damalige Verhältnisse wirtschaftlich äußerst attraktiv: süd- und westseitige Hanglage, sauberes Wasser, guter Boden und viel Wald. Im Frühjahr ist das Gelände sogar früher schneefrei als die Tallagen um Sonthofen.
Ölgemälde als Rekonstruktion von Oberried (im Heimathaus Sonthofen)
Etwa 500 Meter südöstlich von Oberried liegt auf fast gleicher Höhe ein weiterer, heute noch bewohnter Ortsteil von Sonthofen – der Weiler Breiten. Hier wurde in etwa einem Meter Tiefe ein eisernes Teil eines spätrömischen Rodungspfluges gefunden. Dies legt die Vermutung nahe, dass in diesem Berggebiet sogar schon wesentlich früher als urkundlich erwähnt Ackerbau betrieben wurde. Über Jahrhunderte hinweg wurden die heute noch sichtbaren Terrassen angelegt und Gerste, Hafer und Flachs angebaut. Daneben bestand die bäuerliche Lebensgrundlage aus Ziegen- und Schafzucht, Hühner- und Bienenhaltung sowie Obstbäumen und Krautgarten. Großtiere konnten in Oberried erst gehalten werden, nachdem sich ab dem 13. Jahrhundert auch im oberen Allgäu die Heugewinnung ausbreitete. Damals ins Kleine Walsertal eingewanderte Bauern aus dem Wallis hatten die Grastrocknung als wichtige Weiterentwicklung der Grünlandwirtschaft mitgebracht. Bis dahin war es schwierig gewesen, Großvieh mit Blätterheu von Laubbäumen, das nur wenig Nährstoffgehalt besitzt, durch den Winter zu bringen.
Lageplan von Oberried
Die Äcker, Wiesen, Weiden und Wälder der Oberrieder Bergbauern erstreckten sich über Hanglagen zwischen 980 und 1300 Metern Höhe. Im oberen Starzlachtal, zwei Fußmarschstunden entfernt sowie an einem Berg namens Tiefenbacher Eck hatten die Oberrieder zusätzlich kleine Alpflächen, auf denen sie einen Teil ihrer wenigen Nutztiere im Sommer weiden ließen.
Die ersten Höfe von Oberried wurden bereits während des 12. Jahrhunderts von den Freiherrn von Rettenberg dem Kloster Ottobeuren übereignet. Nach einem Tauschgeschäft wurde das Hochstift Augsburg im 15. Jahrhundert neuer Eigentümer der Güter und Leibeigenen. Von nun an waren die Bauern vom Frondienst befreit und mussten nur noch Zinszahlungen leisten. Bis 1580 wurde ein "Waldzins" für jeden Bauernhof von Oberried bezahlt. Der Waldzins betrug pro Jahr lediglich 1/28 des Wertes einer Melkkuh.
Schwende-Aktion des Heimatdienstes im Herbst 2014
Für die kirchlichen Belange war die Urpfarrei St. Michael in Sonthofen zuständig. Nach dem Bau der kleinen Kirche in Berghofen im Jahr 1438 konnten die Oberrieder dort die Heilige Messe besuchen. Beerdigungen fanden aber weiterhin im Sonthofer Friedhof statt. Beides verlangte jedoch mehrstündige Fußmärsche, da ein durchgehender Fahrweg für Fuhrwerke von Berghofen über Unterried nach Oberried erst ab 1876 existierte. lm 16. Jahrhundert wuchs das Dorf Oberried auf sieben kleine Bauernhöfe und eine eigene Kapelle an. Offenbar lebten damals sehr wehrhafte Bauern am Ort, da in den allgemeinen Mannschafts- und Bewaffnungslisten von 1613 namentlich vier „Musgethierer", ein „Hellepartier" und zwei „Schützen“ aus dem Weiler aufgeführt wurden. Im Dreißigjährigen Krieg waren wiederholt Ab- und Zuwanderungen in dem Bergdorf zu verzeichnen. Sogar ein Walser aus dem in Vorarlberg gelegenen Großen Walsertal ließ sich in Oberried nieder, wo er eine Bauerntochter heiratete. Er und seine Frau wurden später die Stammeltern einer großen, heute weit verzweigten Sippe. Ein späterer Nachkomme entdeckte sogar ein altes Schriftstück, das besagte, dass sein einstens ausgewanderter Vorfahre in Oberried ein besseres und weniger anstrengendes Leben als in seiner ursprünglichen Heimat vorgefunden habe, weil hier die Acker- und Weideflächen nicht so steil waren. Danach fehlen jegliche Nachrichten aus dem Dorf, bis im September 1778 zur Zeit der „Einöder Herbstkirbe“ (Herbstkirchweih) ein verheerender Brand ausbrach. Ganz Oberried – mit Ausnahme des Hauses des fürstbischöflichen Jagdaufsehers – wurde in kurzer Zeit ein Raub der Flammen. Die Bewohner gaben jedoch auch nach diesem schlimmen Ereignis nicht auf und fingen wieder von vorne an. Es dauerte aber Jahre, bis das Dorf und die Kapelle wieder vollständig aufgebaut waren. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in der Nähe von Oberried zwei Eisenerzgruben des Bayerischen Hüttenwerks Sonthofen aufgefahren. lm Winter konnten hier einige Oberrieder als „Erzzieher" mit dem Transport des erzhaltigen Gesteins zum Hochofen in Sonthofen etwas dazuverdienen. Diese Verdienstmöglichkeit entfiel allerdings, als 1863 der Hochofen ausgeblasen und die Erzförderung im Oberallgäu eingestellt wurde.
Ehepaar Speiser (1865)
1865 heirateten der Oberrieder Landwirt Franz Martin und Maria Speiser aus Dietrichs. Das bis heute erhaltene Hochzeitsfoto ist die älteste fotografische Aufnahme aus Oberried, die die Geschichte überdauert hat. Um sich ablichten zu lassen, fuhr das Paar zunächst mit der Kutsche bis Kempten und von dort mit der Eisenbahn zum Fotografen nach München. Auch vom letzten in Oberried geborenen Kind, Bruno Speiser, existiert noch ein Foto. Er kam 1888 zur Welt und übersiedelte als Einjähriger mit seinen Eltern auf einen Ersatzhof in Tiefenbach bei Sonthofen. Später wurde er Knecht bei seinem älteren Bruder. Er starb 1982, sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Seifriedsberg bei Blaichach. Ein anderes Kind aus Oberried zog bei der Auflassung des Dorfes mit seinen Eltern in einen Nachbarweiler und wurde später Käsermeister. Dessen Sohn, Ludwig Martin, machte später Karriere und brachte es sogar zum Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe (1963 bis 1974). Er starb 2010 – ebenfalls hochbetagt – im Alter von 100 Jahren.
Mit der Konstitution von 1808, der ersten verfassungsrechtlichen Grundlage des neuen Königreichs Bayern, wurden die Oberrieder Bauern zwar von der Leibeigenschaft befreit, finanziell jedoch erging es ihnen von da an nicht besser. Die Steuern, die nunmehr vom Staat erhoben wurden, waren höher als zuvor die Zinszahlungen an das Hochstift Augsburg. Dazu kam, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der unrentable Flachsanbau allmählich aufgegeben und die Landwirtschaft fast vollständig auf Milcherzeugung und Viehzucht umgestellt wurde. Dies dauerte im Oberallgäu allerdings viele Jahrzehnte, da zahlreiche Kleinbauernanwesen nur mit geringem Flächenbesitz ausgestattet waren. Außerdem hatten die meisten Bauern zu wenig Geld, um diese Umstellung mit allen Folgen finanzieren zu können. Manche Familien verkauften daher ihre kleinen Hofflächen an reichere Bauern oder an Kommunen und wanderten in ferne Länder aus. Überlieferte Erzählungen berichten, dass die Menschen mit ihrer wenigen Habe vom Oberallgäu zum Bodensee und von hier weiter bis zum Rhein unterhalb von Basel wanderten. Dort ergab sich die Möglichkeit, billig auf Flößen flussabwärts bis nach Holland zu fahren. Wenn sie Glück hatten, fanden sie hier günstige Mitfahrgelegenheiten auf Frachtsegelschiffen nach Amerika oder Australien. Leider sind aus diesen schweren Zeiten keine schriftlichen Quellen mehr erhalten, da ein Brand im Sonthofer Rathaus 1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, das vorhandende Archivmaterial weitgehend vernichtete. Als der Sennermeister Johann Althaus aus dem schweizerischen Emmental im Jahr 1827 nach Sonthofen übersiedelte, führte er die Produktion von Hartkäse ein, die dem gesamten Allgäu zu einem wirtschaftlichen Aufschwung verhelfen sollte. Für die Herstellung eines rund 75 Kilogramm schweren Emmentalerlaibs sind rund 900 Liter Milch erforderlich. Derart große Mengen waren zunächst aber nicht ohne weiteres zu bekommen. Erst durch die Flächenausweitung und zusätzliche Düngung der Weideflächen, die Züchtung von Milchkühen, die Gründung von Sennereien und die Erschließung neuer Märkte – insbesondere durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes – konnte die Käseproduktion zum wichtigsten landwirtschaftlichen Erwerbszweig gesteigert werden. Die Oberrieder waren von dieser Entwicklung jedoch abgeschnitten. Ihre wenigen Kühe erzeugten nur eine geringe Menge an Milch. Zudem wäre der tägliche Milchtransport ins Tal nach Sonthofen mit den vorhandenen Mitteln unzumutbar aufwändig gewesen. Daher nutzten sie im späten 19. Jahrhundert nicht mehr als ein Drittel ihrer Flächen als Viehweide. Stattdessen bauten sie weiterhin primär Gerste und Hafer an. Da Roggen und Weizen im Allgäu in Höhen über 1100 Meter nicht mehr voll ausreifen, war es den Bewohnern von Oberried nicht möglich Brot zu backen, weshalb sie sich hauptsächlich von sogenanntem schwarzen Mus ernährten. Erschwerend kam hinzu, dass in den Jahren vor der Aufgabe des Dorfes die bis dahin reiche Trinkwasserquelle zu versiegen begann. Eine weitere Quelle lieferte nur saures Wasser aus den höherliegenden Mooren, weshalb es nur zum Tränken des Viehs verwendet werden konnte. All diese naturräumlich bedingten Gründe ließen in Oberried nur ein sehr karges Leben zu. Bereits aus einer Volksbefragung im Jahre 1809 geht hervor, dass die acht Familien des Weilers kein Gesinde und nur wenig Zugtiere hatten, also alle Arbeiten von den Bauernfamilien selbst ausgeführt werden mussten. Ungewöhnlich war, dass bei 16 Erwachsenen nur 15 Kinder vorhanden waren. Möglicherweise hatten viele Kinder die harten Lebensumstände nicht überlebt.
Oberrieder Kapelle (Anfang 20. Jhd.)
Ein weiteres Problem stellte die strikte Durchsetzung der Schulpflicht im Königreich Bayern dar. Die Kinder mussten werktags zur Schule nach Berghofen gehen. Hin und zurück 3 - 4 Stunden. Immerhin war der Unterricht nunmehr wesentlich besser als zu Zeiten des Hochstifts Augsburg, aus der berichtet wird, dass ein Maurer den Unterricht abhielt und dies zudem nur im Winter. Er war nach der Beurteilung seines Vorgesetzten als Lehrer völlig untauglich. So schickte er die Schüler von den hochgelegenen Orten wieder heim, wenn sie nicht täglich einen Scheit Brennholz mitbrachten.
Nach eingehenden Erörterungen all dieser Probleme unterbreitete der Markt Sonthofen den Bewohnern von Oberried schließlich im späten 19. Jahrhundert ein Angebot: die Ansiedlung der Bauernfamilien in anderen Ortsbereichen. Zu jener Zeit standen in Sonthofen etliche Bauernhöfe leer, da deren Bewohner ausgewandert waren. Doch waren die Oberrieder zunächst uneins darüber, ob sie ins Tal ziehen sollten. Sie waren sich bewusst, dass schon beim Verlassen von nur einigen Bergbauernhöfen die gesamte Struktur des Dorfes zerfallen würde. Die verbleibenden Bewohner hätten daraufhin Flächen aufgeben müssen und die bisher gemeinsam verrichteten Arbeiten wie die Reparatur von Wegen, das Aufstellen von Zäunen oder die Erneuerung von Dächern wären nur noch mit Hilfe von Knechten und Mägden möglich gewesen. Für deren Anstellung reichten jedoch die Vermögensverhältnisse der armen Bergbauern bei weitem nicht aus. Nur zögerlich und erst nach langem Überlegen und Diskutieren nahmen die Oberrieder Bauernfamilien schließlich doch das Angebot des Marktes Sonthofen an. Für das gesamte Ortsgebiet mit Wald, Weiden und Ackerflächen wurde ihnen im Jahr 1889 eine finanzielle Entschädigung in Höhe von 52 000 Mark ausbezahlt. Diesen Betrag nahm die Markgemeinde schon einige Zeit später allein durch den Verkauf eines Teils der Waldflächen wieder ein. Eine deshalb von den Oberriedern nachträglich geforderte Erhöhung der Verkaufssumme wurde jedoch abgelehnt, da der Kaufvertrag mit jeder Familie bereits notariell beglaubigt war. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbesserten sich die Arbeitsmöglichkeiten im Oberallgäu allmählich. Die Eisenbahn wurde bis Oberstdorf gebaut und an den schluchtartigen Seitenflüssen von Iller und Ostrach wurden Wasserkraftwerke errichtet, die die erforderliche Energie zum Bau von Fabriken lieferten, in denen Baumwolle aus Ägypten und den USA zu Stoffen und Bindfadenprodukten verarbeitet wurden. Mit der Eisenbahn kam auch billiges Eisenerz ins Oberallgäu, sodass im Hüttenwerk in Sonthofen ein großes Gusswerk entstehen konnte. Auch der Fremdenverkehr im Oberallgäu begann mit der Anbindung an das Schienennetz aufzublühen. Carl Hirnbein, der sogenannte Notwender des Allgäus, entwickelte in großem Stil die Herstellung und Vermarktung von lagerfähigem Weichkäse. Der Übergang vom „blauen“ zum „grünen“ Allgäu, also die Ablösung des Flachsanbaus durch die Milchwirtschaft, ist maßgeblich auf ihn zurückzuführen. Zudem ließ er bereits 1853 auf dem Grünten in etwa 1500 Meter Höhe ein Berghotel errichten, das als das erste Hotel der Allgäuer Alpen gilt. Sicherlich hatten die Bergbauern von Oberried die besseren Lebensbedingungen erkannt, die ihnen die neuen Arbeitsfelder boten und sich deshalb zum Weggang entschlossen. Zumindest von einem Bewohner ist bekannt, dass er im Tal Arbeit in einer der neuen Fabriken fand. Nachdem ihre Entscheidung endgültig gefallen war, zerlegten die Oberrieder innerhalb weniger Tage ihre aus Holz errichteten Bauernhäuser. Die Balken nahmen sie mit zu ihren neuen Wohnstätten, wo sie daraus neue Gebäude errichteten. Etwa zur gleichen Zeit zogen auch die Bewohner des uralten Bergdorfes Gerstruben bei Oberstdorf sowie Bauernfamilien aus dem hochgelegenen Retterschwanger Tal in die Oberallgäuer Flusstäler von Iller und Ostrach auf der Suche nach neuen Wohnstätten und Arbeitsmöglichkeiten.
Oberried, Altar der Leonhard Kapelle
In Oberried, dem einstmals höchstgelegenen Siedlungsplatz in der Umgebung Sonthofens, stehen heute nur noch die einsam liegende Dreifaltigkeitskapelle und einige Heustadel, die auf den Grundmauern der ehemaligen Bauernhäuser errichtet wurden. Vorübergehend war die Kapelle zu einer Unterstandhütte umfunktioniert worden. Nach großem Widerstand der Bürger von Sonthofen gegen diese Nutzungsänderung war die Kapelle 1924 jedoch renoviert und neu geweiht worden. In den Jahren 1959 und 2007 wurden weitere Sanierungsarbeiten durchgeführt. Das einstige Bergbauerndorf ist mittlerweile ein beliebtes Wanderziel. Wie im aufliegenden Gästebuch der Kapelle nachzulesen ist, üben das beschauliche Gotteshaus und sein außergewöhnlicher Standort einen positiven Einfluss auf ihre Besucher aus. Aber auch Nachkommen der ehemaligen Bewohner Oberrieds haben Einträge im Buch hinterlassen, in denen sie entweder überliefertes Wissen über ihre Vorfahren ausbreiten oder aber mehr über ihre eigene Familiengeschichte in Erfahrung bringen wollen. Auskunft hierzu gibt bereits die Erinnerungstafel in der Kapelle, welche die zur Zeit der Auflösung des Dorfes in Oberried lebenden Familien mit ihren Hausnamen nennt. Darüber hinaus fängt das auf einer Holztafel an der Außenwand der Kapelle zu lesende eindringliche Gedicht „Droben stehet die Kapelle“ von Ludwig Uhland die besondere Atmosphäre des Ortes ein.
Wiedereinweihung der Kapelle nach der Renovierung (2007)
Auf dem Areal des ehemaligen Dorfes befinden sich außerdem eine Informations- und Brotzeithütte mit einigen musealen Ausstellungsstücken sowie ein kleines Flachsfeld, das den einstigen Flachsanbau im Allgäu veranschaulicht. Im steilen Wiesengelände um die Kapelle sind auch die alten Ackerterrassen noch sehr gut zu erkennen. Zudem sind im Freigelände ein in der Nähe gefundener „Zeichenstein" mit teilweise ungeklärten Beschriftungen und Symbolen sowie ein großer Korallensteinblock ausgestellt, der mit dem Würmgletscher aus den Allgäuer Hochalpen in die Nähe des Dorfes transportiert worden war. Auch einige alte bäuerliche Gerätschaften und ein Heuwagen sind zu besichtigen. Erhalten wird das alte Gebäudeensemble von der Stadt Sonthofen und von ehrenamtlich tätigen Mitgliedern des Heimatdienstes. So wurden in den letzten Jahren im Dorfbereich neue Streuobstbäume gepflanzt und die alten Hausfundamente teilweise freigelegt. In Planung sind ein Holzbrunnen mit Anschluss an eine alte Quelle sowie Ergänzungen in der Infohütte. Ende September 2014 wurden durch den Heimatdienst Sonthofen auf einem großen Teil des Dorfgeländes die mittlerweile wieder stark bewachsenen Flächen geschwendet, also der aufkommende Baumbewuchs – bis auf einige markante Ahorn- und Eibenschösslinge – entfernt. Mit einem kleinen Bergfest für die freiwilligen Helfer fand diese Aktion einen schönen Abschluss. Das ehrenamtliche Engagement von Oberallgäuer Heimatfreunden lässt hoffnungsvoll in die Zukunft von Oberried blicken. Mit den Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen rückt der Ort in jüngster Zeit auch wieder stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung. Dies belegt nicht zuletzt die große Anzahl an Besuchern bei der kirchlichen Segnung der Kapelle nach Abschluss der Restaurierung im Jahr 2007. Mittlerweile können über das Gästeamt der Stadt Sonthofen auch Besichtigungstouren nach Oberried mit einem Wanderführer des Heimatdienstes gebucht werden. Ebenso ist es aber möglich, die frei zugängliche Anlage auf eigene Faust zu erkunden, um die verbliebenen Spuren des „verschwundenen“ Bergdorfes selbst auf sich wirken zu lassen.
Oberried, Info- und Brotzeithütte